– ein Bericht von Gitta Hahn
Im Herbst 2022 veranstaltete der Bayerische Blinden – und Sehbehindertenbund gemeinsam mit dem Fachdienst ITM eine Schulung für Hörsehbehinderten-Assistenten in Nürnberg und Saulgrub.
Die Schulung startete am 01. Oktober 2022 in den Räumen des Bayerischen Blinden und Sehbehindertenbundes in Nürnberg. Wir waren vier Frauen im Alter von Mitte 20 bis Mitte 50, die sich zur Assistenz schulen lassen wollten.
Unsere Schulung startete mit einem Überblick über die unterschiedlichen Formen der Sehbehinderung. Erst einmal erklärte man uns die verschiedenen Behinderungsbilder, und wir erfuhren etwas über die verschiedenen Augenerkrankungen und ihre Folgen. Wir lernten, dass es sehr unterschiedliche Seheinschränkungen gibt. Die verschiedenen Sehbehinderungen sind bei der Begleitung zu beachten. Beispielsweise soll ein Blendungsempfindlicher nicht so sitzen, dass ihm die Sonne ins Gesicht scheint.
Im folgenden Unterrichtsblock ging es um das Thema Hören, und wie Schwerhörige oder Taube sich unterhalten. Eine Form der Kommunikation für taubblinde und hörbehinderte Menschen ist das Lormen. Wir bekamen die Aufgabe uns verschiedene Wörter gegenseitig in die Hand zu lormen. Das war für einige von uns etwas Neues. Wer wollte durfte dabei auch einen Handschuh benutzen, auf dem die Buchstaben aufgedruckt waren. Das Schreiben erschien uns als nicht so schwer- aber mit geschlossenen Augen erfühlen, was der andere schreibt? Gar nicht so einfach, stellten wir fest. Wir waren ganz verblüfft darüber, mit welcher Geschwindigkeit die Könner sich dabei unterhalten. Bei uns ging das eher im Schneckentempo.
Teilweise hatten wir falsche Vorstellungen, was es bedeutet, schlecht zu hören. Wir lernten, dass bei Hörbehinderungen oft Tonfrequenzen im Hören fehlen, und besonders hohe oder tiefe Töne teilweise nicht gehört werden. Einfach nur laut sprechen ist somit gar nicht die Lösung für ein Gespräch mit einem Schwerhörigen. Herr Lottner, Inhaber der Firma PELO Hörunterstützung, nahm sich viel Zeit, uns die verschiedenen Hörgeräte und technischen Hilfsmittel zu erklären. Viele Geräte durften wir einmal in die Hand nehmen und ausprobieren. Wir erfuhren, dass es Unterschiede in der Tonübertragung gibt, und die Hörgeräte unterschiedliche Einstellungsmöglichkeiten haben, den Ton zu empfangen. Wir waren sehr erleichtert, dass die Betroffenen die Erfahrung selbst haben und ihre Geräte entsprechend ein- und umstellen. Für Laien sind die verschiedenen Einstellungsmöglichkeiten der Technik nicht einfach zu bedienen. Durch eine kleine Panne merkten wir auch, wie nervig es ist, wenn die Technik einfach nicht das macht, was sie soll.
Ein langer Schulungstag ging zu Ende und wir vier Teilnehmer freuten uns, mit der Verantwortlichen vom Fachdienst ITM, einen gemütlichen Abend im schönen Nürnberg zu verbringen.
Thema des folgenden Tages war die Sehende Begleitung. Dazu ging es in das Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte (bbs) in Nürnberg.
Gleich auf dem Schulgelände wurden wir von der Lehrerin, Frau Hübschmann, begrüßt. Sie erklärte uns das Gelände und machte uns auf die verschiedenen Bodenbeläge aufmerksam. Über die Füße soll man sich im Gelände orientieren? Das erschien uns schwer vorstellbar. Kaum am Schulungsraum angekommen, kam unser Härtetest. Wir bekamen Ohrenschützer und Ohropax, sowie eine verdunkelnde Brille. So sollte eine Hörsehbehinderung simuliert werden. Nun sollten wir den Unterrichtsraum erkunden und unseren Sitzplatz finden. Das war eine ganz besondere Erfahrung für uns. Einige liefen mutig los, andere wiederum hatten große Angst und bewegten sich sehr langsam und vorsichtig durch den Raum. Letztendlich hat jede ihren Platz gefunden – aber auch nur, weil wir uns durch Rufen gegenseitig geholfen haben. Es war eine erschreckende Erfahrung, vollkommen orientierungslos allein irgendwo zu stehen und nur vor Hindernisse zu laufen. Im Kopf hatten wir uns eine Vorstellung von dem Raum gemacht. Die Realität stimmte aber nicht mit unserer Vorstellung überein.
Nach diesem Aufwärmtraining ging die Lehrerin mit uns in die riesige Schulaula. Wir vier mussten uns immer zu zweit zusammentun. Eine bekam wieder Kopfhörer und Brille- sie war somit hörbehindert und blind – die andere übernahm die Führung. So übten wir in den Räumen der Schule die verschiedene Führungstechniken der Sehenden Begleitung: durch Türen gehen und das Türblatt übergeben, Richtungswechsel machen, an Engstellen vorbeikommen, in Fahrstühle ein- und aussteigen, Treppen rauf- und runterlaufen usw.
Nachdem wir im geschützten Raum in der Schule geübt hatten, ging es hinaus ins echte Leben. Bei dieser Übung bekamen wir eine Spezialbrille, die einen Tunnelblick simulierte. Unsere Lehrerin ging mit uns Richtung Stadt. Wir sollten Begleitung im Straßenverkehr und in den öffentlichen Verkehrsmitteln üben: Bus, U-Bahn und Rolltreppe. Die Rolltreppe war eine echte Herausforderung. Es war beängstigend mit der Sehbehinderung auf die laufende Treppe zu treten und den Ein- und Ausstieg zu schaffen. Manch eine von uns hätte vor dieser Aufgabe gerne gekniffen. Die Lehrerin kannte aber kein Erbarmen und scheuchte uns auf die Treppe. Sie sagte: Jetzt habt mal Vertrauen in eure Assistenz! Es war eine besondere Erfahrung zu erleben, was das tatsächlich bedeutet.
Nach einem spannenden Tag waren wir Frau Hübschmann sehr dankbar, dass sie mit uns so viel Geduld und Verständnis hatte. Alle waren von dem Tag ziemlich geschafft, da wir die verschiedenen Aufgaben ohne Worte und nur mit Gesten deutlich machen sollten. Es erfordert sehr viel Konzentration, die verschiedenen Situationen anzuzeigen. Für uns ist es eine große Hilfe, dass wir über Sprache Gefahrensituationen ansagen können.
Am 22. Oktober trafen wir uns alle wieder auf dem Hauptbahnhof in München. Mit dabei waren dieses mal vier Betroffene. Sie hatten sich netterweise zur Verfügung gestellt, damit wir in der Praxis unsere erlernten Techniken anwenden konnten. Gemeinsam stiegen wir in den Zug und fuhren Richtung Saulgrub in das schöne AURA-Hotel. Als besonderen Härtetest hatte die Deutsche Bahn einen Umstieg auf den Schienenersatzverkehr eingebaut. Grund dafür war die Sperrung der Bahnstrecke wegen des Zugunglücks bei Garmisch-Partenkirchen im Juni 2022.
Kaum angekommen, war es unsere Aufgabe, die Hörsehbehinderten in ihre Zimmer zu begleiten und ihnen das Zimmer zu beschreiben. Wir stärkten uns bei einem sehr leckeren Essen. Neben den Praxisübungen standen auch weitere theoretische Inhalte auf dem Programm. Wir erfuhren von einem Juristen des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes die rechtlichen Aspekte der Assistenz. Auch Fragen des Versicherungsschutzes wurden behandelt.
Ein Betroffener hatte seine Ehefrau mitgebracht. Sie berichtete aus ihrem Leben als Angehörige, die oft Assistenz leistet. Anschließend erzählten die Betroffenen über sich. Wir erfuhren, wie unterschiedlich ein Leben mit einer Hörsehbehinderung verlaufen kann. Manch einer erkrankt jung, andere wiederum erst im Alter. Themen wie der Verlust des Arbeitsplatzes, die Auswirkung der Erkrankung auf das Familienleben wurden angesprochen. Es war sehr berührend, solch persönliche Dinge zu hören. Jeder berichtete dann davon, was er gerne mit einer Assistenz unternehmen würde. Auch diese Wünsche waren sehr unterschiedlich. Sie reichten von Begleitung zum Einkaufen, zum Arzt, gemeinsam Sport betreiben über Konzertbesuche, Museen, bis zur Begleitung auf einer Urlaubsreise.
Der Tag ging gemütlich bei einem Glas Wein oder Bier im Klavierzimmer zu Ende.
Nach dem Frühstück hatten wir großes Glück mit dem Wetter. Bei strahlendem Sonnenschein konnten wir eine Wanderung machen. Eine weitere Betroffene war an dem Tag hinzugekommen. Wir vier Assistenzkräfte wechselten während der kleinen Wanderung unsere geführten Personen. Jeder Betroffene hatte seine eigene Art und Weise, wie er geführt werden wollte. Keiner glich dem Anderen- das war für uns eine interessante Erfahrung.
Gruppenfoto Saulgrub
Nach einer Pause erläuterte uns die blinde Schriftdolmetscherin, Frau Melanie Fleischmann, ihre Arbeit. Sie gab uns Tipps zu den Themen „Schriftliche Informationsvermittlung“ und „Zusammenfassung von Gesprächsinhalten“. Wichtig ist auch, die eigene Hemmschwelle zu überwinden und bei Unklarheiten sofort nachzufragen. Auch bei der Technik des „Einflüsterns“ sollte man keine Angst haben, die anderen Gesprächsteilnehmer zu stören.
Der Aufenthalt in Saulgrub endete mit der Übergabe von Zertifikaten, über die wir uns alle sehr gefreut haben. Eine schöne Schulung ging zu Ende. Wir haben viel gelernt und erfahren. Wir begleiteten die Hörsehbehinderten zurück bis zum Hauptbahnhof München und hoffen, uns bei Gelegenheit widerzusehen. Vielleicht sucht jemand von ihnen demnächst eine Begleitung? Groß ist unsere Neugierde darauf, wo wir nun tatsächlich als Assistenz zum Einsatz kommen. Klar ist uns aber auch, dass wir als Assistenz für Taubblinde, die gebärdensprachlich kommunizieren, nicht geeignet sind, da unsere Kenntnisse dafür (noch?) nicht ausreichen.