Geschichte des Taubblindenwesens und Entwicklung der Rechte Taubblinder
Mit freundlicher Genehmigung veröffentlichen wir den Text aus dem Buch „Bayerische Gehörlosengeschichte im Wandel der Zeit. Gehörlosenbewegung in Bayern seit dem 18. Jahrhundert bis heute.“
Die Taubstummblinde von Würzburg
Wenn es um Taubblindheit geht, fällt oft sofort der Name von Helen Keller aus den USA. Eine weitaus weniger bekannte Taubblinde ist Therese Exner, die vor Helen Keller geboren wurde und den Großteil ihres Lebens in Bayern verbrachte.
Otto S. Wolf (1848-1926), der Direktor der Taubstummenanstalt Würzburg schrieb 1896 im „Taubstummencourier“ einen Artikel über Therese Exner. Sie wurde am 3. Juli 1873 in St Louis, Louisville, Kentucky (USA) als vierte Tochter der Metzgereheleute Adam und Barbara Exner geboren.
„Im 4. Lebensjahr erkrankte Therese an Scharlach, infolgedessen sie bald darauf trotz fachärztlicher Behandlung das Gehör völlig verlor. Ein Augenleiden, das sich zu gleicher Zeit einstellte, zerstörte die Sehkraft nach und nach, so dass das Kind mit dem achten Lebensjahr auch noch erblindet war. Es reagierte aber noch einige Zeite auf Tageslicht, sowie auf grüne, blaue und zuletzt noch auf rothe Farbe. Eine im 8 Jahre vorgenommene Operation des rechten Auges war resultatlos, ebenso der im 13. Lebensjahre am linken Auge ausgeführte ärztliche Eingriff.“ (Wolf 1896).
Seit dem 21. Juni 1878 hielt sie sich mit Unterbrechungen in Würzburg auf. Zeitweilig lebte sie als Staatenlose in der Villa „Bergfried“ in Höchberg mit der Familie des Oberstleutnant Hugo Hofmann.
Die Blinden- und Gehörlosenlehrer weigerten sich, sie zu unterrichten, da ihr der 2., ausgleichende Sinn fehlte.
„Also blieb nur die Erfindung einer Geberdensprache übrig, welche den bei den Taubstummen üblichen Naturzeichen zwar ähnlich, aber nicht wie diese auf das Auge berechnet ist, sondern sich lediglich auf das Gefühl, den Tastsinn gründet. – Und es gelang! Mittels einfacher Naturgebärden war bald die erste Verständigung gefunden. Und so konnte allmählich fast bei der deutschen Lautiermethode in den Taubstummenanstalten unterrichten werden. Die entwickelten Laute wurden sofort mit dem Brailleschen Punctierapparat zu Papier gebracht. Diese Blindenschrift hat den grossen Vorzug der Einfachheit, wodurch sie leichter gehandhabt, besser betastet und abgelesen werden kann.“ (ebd. 131).
Der Schülerin wurde die Lautsprache beigebracht, indem sie die Sprechwerkzeuge (Lippen, Kehlkopf, Wangen) des Lehrers beim Sprechvorgang betastete.
Der Kommunikationspartner nahm für ein Gespräch die Hand von Therese und führte damit die verschiedenen Bewegungen aus.
„So betastet die geführte Hand der Schülerin bald die Hand der Sprechenden, bald die oberen Körpertheile der Schülerin, oder sie führt Bewegungen in der Luft aus. Die Taubblinde versteht das so Mitgetheilte mit grosser Fertigkeit, antwortet aber laut, d.h. für jedermann vernehmlich durch die Lautsprache. Da dies jedoch für den täglichen Gebrauch bei gewähnlichen Mitteilungen zu zeitraubend würe [sic.], haben sich nach und nach ganz natürlich sowohl Wort- als auch Satzverkürzungen ergeben wie bei der Stenographie. […] Täglich werden die Errungenschaften des Unterrichtes durch die Braillesche Punctierschrift zu Papier gebracht, um zu der bei dieser Schülerin besonders nothwendigen Correctur und zur Wiederholung zu dienen. Doch ist diese Schrift dem Laien unverständlich. Um mit ihren Verwandten und Bekannten in schriftlichen Verkehr treten zu können, erlernte sie noch die Handhabung des Stacheltypenapparates, dessen erhöhte Druckbuchstaben jedermann lesen kann. So beantwortet sie alle an sie geschriebenen Briefe selbstständig und pünktlich mit grösster Lust und steht mit vielen ausgetretenen Taubstummen, die während ihrer Ausbildung in der Anstalt ihre Freundinnen waren im brieflichen Verkehr. An Neujahr braucht sie z.B. allein mehre Mark an Briefporto. Dieser geistige Austausch erweiterte aber den Gesichtskreis, regt sie an und fördert ihren Wissendrang, namentlich gibt er ihren schriftlichen Arbeiten eine gewisse Selbstständigkeit und Originalität.“ (ebd. 132).
Therese Exner verstarb am 10. März 1936 in Würzburg.
Quellen:
Wolf, S. Otto: „Die Taubstummblinde von Würzburg“ In: Taubstummencourier, Dezember 1896, Seite 130-133